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Auf der Straße zum Gluck

Adriano Celentano wird 70

Adriano Celentano, der Mann aus dem Volk, der ohne mit der Wimper zu zucken die albernsten Klischees erfüllt und Berlusconi zum Toben bringt, wird am Sonntag 70 Jahre alt und allmählich erwachsen.
Von Helmut Mauro

Spätestens mit der zweiten Folge seiner Sendung “RockPolitik” schalteten sich auch die Printmedien zu. Denn der bis dato als eher flacher Unterhaltungshanswurst und, wie man zu seiner Zeit noch sagte, als Schürzenjäger in Radio, Film und Privatleben bekannte Schlagersänger hatte im Herbst 2005 einen handfesten Skandal verursacht, indem er den italienischen Medienmogul und Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi massiv angegriffen hatte. Das war Adriano Celentano, wie ihn bis dahin kaum jemand kannte, und er warf dem Ministerpräsidenten nichts weniger vor als: die Abschaffung der Meinungsfreiheit.

Berlusconi tobte. Und Celentano hatte etwas geschafft, was kaum jemand für möglich gehalten hatte. Er hatte dem scheinbar allmächtigen italienischen Ministerpräsidenten öffentlich die Meinung gegeigt. Auch in der zweiten Folge ließ er nicht locker. Diesmal jedoch verpackte er seine Kritik in seriöse Satire, bekam Unterstützung von Stargast Roberto Benigni, der ihm bei der Verfassung eines vorgeblichen Entschuldigungsschreibens an Berlusconi half.

Vielleicht musste Adriano Celentano erst ins Rentenalter kommen, um diesen wütenden Blick, die gespannten Halsmuskeln, mit denen er in seinen Filmkomödien für meist banale Ursachen große Geste produzierte, endlich mit einem ernsthaften Anliegen zu untermauern. “Was wäre ich für ein Spieler, wenn es mir nicht gelingen würde, wahr zu machen, was bisher falsch war”, sagt er zur Tochter seines Gangsterfreundes in “Bluff” von 1976.

Es ist einer seiner besseren Filme, und er führt dabei weder Regie, noch spielt er die alleinige Hauptrolle. Anthony Quinn ist es, der dem Film Sinn und Sinnlichkeit verleiht, und der Celentano unweigerlich dazu bringt, komische Szenen ernst zu nehmen und sich auf seriöse Schauspielerei zu konzentrieren, statt wie in den meisten anderen seiner Filme nur den Hampelmann zu geben. Mit “Il bisbetico domato” (“Der gezähmte Widerspenstige”) und “Innamorato pazzo” (“Gib dem Affen Zucker”) produzierte er 1980 und 1981 die bis dahin erfolgreichsten Filme Italiens. Vielleicht auch die grauenhaftesten, in ihrer schrägen Dümmlichkeit auch niederschmetterndsten. Die Dialoge mögen auf italienisch schonbanal gewesen sein, in der deutschen Synchronisation lassen sie jeden Zuschauer erröten.

So sehr man sich auch Mühe gibt, den vorgeblich gutaussehenden Italo-Tölpel sympathisch zu finden, es gelingt nicht. Manchmal bleckt Celentano die Zähne wie sonst nur Don Camillo. Aber was beim engstirnigen Pfaffen Empathie erregt, funktioniert bei Celentano nicht annähernd. Es fehlt jeglicher inhaltliche Anspruch, selbst als Aufreißer und Supermacho changiert er unglücklich zwischen Witzfigur und tragischem Anachronismus. Dass man in der Standard-Kurzbiografie über das kleinkarierte Knutsch- und Zocker-Epos “Asso” lesen kann, es handle sich um eine “tragische Komödie”, das ist eine Rezeptionskomödie für sich.

200 Millionen Platten

Die Celentano-Filme erinnern in ihrem Erzählduktus und ihrer Sprücheklopferei stark an die Italo-Westernkomödien, wirken wie das effeminierte Pendant der klapprigen Bud-Spencer-Terence-Hill-Komödien, die die Kehrseite der intellektuellen und sexuellen Emanzipation der Siebziger Jahre bebilderten und heute wie Untote spätabends durch Privatkanäle geistern. Man kann abwarten, bis auch die Celentano-Klamotten eines späten Abends dort auftauchen.

Und doch wird man ihnen vielleicht mit etwas mehr Respekt begegnen, denn eines hat Celentano von seinen Anfängen in den späten Fünfziger Jahren bis heute halten können: absolute Popularität. Was immer er spielte und sang, diskutierte und thematisierte, es schien alle Italiener und noch sehr viele Deutsche zu interessieren. Allein 100 Millionen Platten hat er in Italien verkauft, nochmal so viele weltweit, und die Einschaltquoten seiner Sendung “RockPolitik” übertrafen die der Nationalmannschaft. Und auch wenn sein letzter Single-Hit “Susanna” – eine schlichte Reggae-Adaption – bereits 21 Jahre alt ist, man findet ihn noch in Radiosendungen wie viele andere musikalische Nummern, für die es fast durchweg sehr ähnlich klingende Vorlagen gibt. Ausnahme bleibt die geniale, von Paolo Conte komponierte heimliche Nationalhymne “Azzurro”.

Authentisch musste Celentano nie sein.Seine musikalische Taktik war darauf angelegt, jedem Trend gerade noch zuvorzukommen und sich um jeden musikalischen Preis eingängigen Versionen eines neuen Sounds an die Spitze zu setzen. Dafür reichten ihm früher auch platte, populistische Anliegen, wie er sie in seinem Lied “Il Ragazzo della Via Gluck” als Bänkellied vorträgt. Es geht um einen Jungen, der mit ansehen muss, wie seine Spielwiese zugebaut wird.

Celentano ist in der “Via Gluck” aufgewachsen, und für ihn zumindest war es die Straße weg vom Klassik-Komponisten “Cristoforo Gluck” und hin zum Glück. Und er ist dieser ewige Hans im Glück geblieben. Niemand weiß, warum er in Italien dreimal soviel Platten verkauft wie Robbie Williams und vierzig mal so viele wie etwa der Sänger Jovanotti. Celentano, der Mann aus dem Volk, der ohne mit der Wimper zu zucken die albernsten Klischees erfüllt, der als römischer Busfahrer eine Prinzessin heiratet und mit seinem hilflosen, gleichwohl entwaffnend breiten Lächeln alle Kritik in die Schranken weist.

Wenn deutsche Mütter ihre halbwüchsigen Töchter vor den Papagallos der Adria warnten, dann leuchtete in ihren Augen das bübische Grinsen von Adriano Celentano wie eine kaum zu verbietende Verheißung. Der Kauf einer CD erfüllt heute wenigstens einen Teil davon. Die letzte ausverkaufte Deutschland-Tournee von Adriano Celentano scheiterte in Germering, einem aufstrebenden Vorort von München. Der Chef der dortigen Stadthalle hatte gerade noch rechtzeitig gemerkt, dass er einer betrügerischen Agentur aufgesessen war. Celentano selbst wusste nichts von seinem Engagement.

Am Dreikönigstag wird er siebzig, Jahre alt und trotz seines jüngst erwachten politischen Zorns wohl der liebenswerte Junge bleiben, der nichts kann, dies aber mit Charme und unvergleichlichem Erfolg richtig gut.

(SZ v. 5./6.1.2008)

06/01/2008 – Sueddeutsche.de (Germania)

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